Überrascht vom Leben
Überrascht von Gott

Vorträge

Tipps im Umgang mit Verwirrten    
Herausforderung Demenz in der Pflege

 Sie haben mich nicht mehr lieb!
Vortrag Klinikum Augsburg
07.05.08 

 

Ich darf mich vorstellen: Mein Name ist Herbert Niedermirtl. Ich bin seit 25 Jahren in der Krankenpflege tätig und arbeite seit 2 Jahren auf einer geriatrischen Rehabilitations-Station in der Hessingklinik als Stationsleiter. Hatte ich es vorher nur selten mit Demenzerkrankten oder Verwirrten zu tun, war ich plötzlich in einer neuen Welt. Eine neue pflegerische und menschliche Herausforderung stand und steht immer noch vor mir:

Wie kann ich mit Demenzerkrankten oder Desorientierte  besser umgehen? Ist eine Kommunikation mit Zeitverwirrte möglich? Was tun, wenn Patienten vor sich hin vegetieren und  überhaupt nicht mehr zugänglich ist? Was tun, wenn nur die immer wiederholende Frage zu existieren scheint: „Wann kann ich sterben?“ „Wo bin ich hier?
Ich war manchmal die Verzweiflung nah. Warum war ich so hilflos?
Mein aha Erlebnis war sicher folgende Begebenheit. Ich betreute eine sehr Hochbetagte völlig desorientierte Frau. Sie hatte  schon lange keine Kontrolle über ihren Harn und Stuhl mehr. Als ich so gegen 10 Uhr das Zimmer betrat war ich sprachlos. Die alte Dame hatte sich fast komplett ausgezogen. Ihre eingestuhlte Windelhose hatte sie sauber zerpflückt und auf dem Tisch verteilt und so saß sie da, und  strahlte mich mit gutem Gemüt  an, so als würde sie mir sagen wollen, das habe ich doch gut gemacht? Ich kam also rein, sah dieses Bild vor mir und tadelte sie: „Das geht doch nicht Frau M. -das ist doch  verrückt!!“  Auf einmal veränderte sich der freundliche Gesichtsausdruck. Sie sah  nun völlig verzweifelt aus. Ich habe sie noch nicht sprechen hören, seit sie bei uns war und plötzlich sagte sie leise: „Sie haben mich nicht mehr lieb?!“ Ich war über ihre Worte erschrocken und antwortete:  „Doch Frau M. ich habe sie sehr lieb, da haben sie aber schwer gearbeitet, ich helfe ihnen gerade dabei“ Es ist alles gut!!“   Ich sprach mit einem beruhigenden Ton mit ihr…Die Frau beruhigte sich sofort, als ich sie behutsam reinigte, wusch und umzog. Keine Vorwürfe mehr, nur Wertschätzung. Ihre Gefühlswelt war wieder in Ordnung gestellt und auch mir ging es besser.  

„Sie haben mich nicht mehr lieb?“ Diese Worte beschäftigten mich noch lange. 
Seit diesem Vorfall versuche ich mein Denken zu verändern: Was mir durch diesen Vorfall klar wurde. Obwohl diese Frau, die durch die  Folgen eines Sturzes uns zur Reha kam, sich nicht öffnete und keine Aktivität zeigte, war ihr bewusst, dass ich sie mochte - durch die Art wie ich ihr begegnete, sie pflegte, ihr das Essen eingab. Sie empfand meine Barmherzigkeit als sehr angenehm und hatte sich an meinen beruhigen, freundlichen Ton gewöhnt. Manchmal hielt sie Blickkontakt zu mir und ich hatte keine Ahnung was sie dachte.   Aber sie fühlte sich anscheinend von mir als Pfleger geliebt und wertgeschätzt.

Vielleicht hat sie mich geliebt?
Meine Vorwürfe hätten dieses Gefühl tief zerstört und sie wäre unglücklich geblieben. Seit diesem Vorfall liegt mir der Umgang mit verwirrten Menschen sehr am Herzen und ich beobachte Menschen noch genauer nach ihren Empfindungen und ihre Aussagen, die sie machen. Meine große Frage: Wie bekomme ich Zugang zu diesen verwirrten, desorientierten Menschen? Wie zeigt sich Demenz?

So bin ich auf Naomi Feil gestoßen.                                        
Diese großartige Frau könnte uns helfen. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Gerontologin, war Assistenzprofessorin an der New School for Social Research,Direktorin des Validation Training Institute Cleveland. Sie hat über 40 Jahre mit verwirrten Menschen gearbeitet und das Demenzverhalten erforscht. Sie kommt im Oktober nach Stuttgart und wird einen ganzen Tag über Umgang mit verwirrten Menschen referieren.

Ihr Standardwerk heißt: Validation- ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen  -    es könnte ein Weg sein um zu verstehen:

·         was  in dem verwirrten Menschen passiert,

·         Bedürfnisse wahrzunehmen

·         und seine Handlungsweisen zu interpretieren.

Die Diagnose Demenz ist eine Katastrophe, wenn sie gestellt wird. Bedeutet es doch für die Betroffenen selbst und für Angehörige, das ein bis dahin völlig Selbsthandelnder, kognitiv aktiver Mensch Stück für Stück körperliche und soziale Verluste erleidet. Mehr und mehr verliert er seine Persönlichkeit, seine Kontrollmechanismen versagen.  
Er verliert  die Kontrolle über seine Gefühle, die Orientierung, der Wahnnehmung, Sprache, Gedächtnis, Harn, Stuhl und Bewegungen.  Er kann Dinge und Personen nicht mehr zuordnen und benennen. Er verliert den Freundeskreis, seine Unabhängigkeit und gerät in die Isolation. 

Dazu muss der alte Mensch sein Leben aufarbeiten  und lange verdrängte Gefühle  (Schuldgefühle, Schamgefühle, verletzte Gefühle) verarbeiten, die plötzlich wieder hervorbrechen  mit dem Ziel: in  Frieden sterben zu können

Es ist schwer diese neue schreckliche Realität aus zuhalten.

Menschen können so leiden, dass sie diese Realität nicht mehr ertragen, sich  in eine Gefühlsebene, Bewusstseinsebene und Rolle zurückziehen,  wo sie gebraucht und geschätzt wurden.  Es ist eine Flucht nach innen um ihr Überleben zu sichern und ihre Lebensstadien und Aufgaben aufzuarbeiten und Lebensstress zu lindern.

Frau Naomi Feil beschreibt 4 Phasen der Desorientiertheit :   

1.    Mangelhaft/unglückliche Orientierung                      

2.    Zeitverwirrtheit                                                                

3.    Sich wiederholende Bewegungen                 

4.    Vegetieren

Ein Beispiel  mit mangelhafter unglücklicher Desorientheit die Ihnen sicher bekannt ist:
Die Patientin ist  raum- und zeitorientiert und im ersten Blick wirkt sie völlig normal. Aber schon im Aufnahmegespräch zeigen sich erste Erinnerungslücken. Sie kann z.B.: ihr Geburtsdatum sagen, aber nicht wie alt sie ist. Sie wird darüber sehr unwillig: 
"Ich bin geboren am…, ich weiß das, halten sie mich für dumm!?"
 
Diese Patienten halten an gesellschaftlichen Rollen fest. Der Arzt ist eine Autorität. Sie sind pünktlich beim Essen. Können sich selbstständig an- und ausziehen. Aber sie bemerken die kognitiven Verluste und haben das Bedürfnis, alte Konflikte in verkleideter Form zu äußern, indem sie Personen der Gegenwart als „Symbole“ der Vergangenheit verwenden!
Dahinter steckt eine große Angst und ein langjähriger Konflikt, der geleugnet wird. Darunter sind  sehr unglücklich  und  weil sie es nicht ertragen, werden  sie zu  Beschuldigern, Jammerer, zu Märtyrer….

„ Mich hat noch keine Schwester gewaschen!“ behauptet plötzlich ein Patient vor dem Arzt.
„Ich musste im Klo stundenlang warten, bis der Pfleger kam! “
„Ich habe nichts zum Essen bekommen!“    
„ Die Schwester hat meine Uhr gestohlen“
"JEMAND hat meine Unterwäsche gestohlen!“

Wie reagieren wir mir solchen Vorwürfen und Unwahrheiten?…..Oft sind wir darüber fassungslos, empört und widersprechen.

Aber jedes Widersprechen ist absolut sinnlos!!!!!!!
Kennen Sie das?

Wie kann ich diese belastende Situation lösen??? Welches Wort könnte helfen?

In der  Phase 2  Zeitverwirrtheit
Zeitdesorientierte Menschen können diese Verluste wie Bewegung, Hörvermögen, Sehen. laut Naomi Feil nicht mehr leugnen und klammern sich nicht mehr an die Realität

Durch Hinschädigung verlieren sie immer mehr Selbstkontrolle und die Fähigkeit soziales Verhalten zu zeigen.  

Sie äußern und zeigen aber  Gefühle:  Liebe, Hass, Angst  und Trauer

·         Rückkehr in Erinnerung     (das einzige Paradies wo wir nicht vertrieben werden können.)

·         Symbole werden bedeutsam

Ein Beispiel für Zeitverwirrt:
Die 92 jährige Frau sagt bestimmt: Ich muss nachhause und meinen Kindern Essen machen!!! Immer wieder sagt es diese Frau und wird dabei immer ärgerlicher, verzweifelnder und unruhiger!!!
Was würden sie zu dieser Frau sagen?
 -    Ihre Kinder sind doch schon über 60 Jahre und leben doch für sich selbst?
 -   Sie sind jetzt im Krankenhaus und können jetzt nicht nachhause gehen
-   Sie sind doch verrückt?
-   Sie ignorieren diese Aussage

Phase 3   Sich wiederholende Bewegung
·     Beginn des Rückzuges in die innere Welt·        
Körperteile werden zu Symbolen und in Bewegung gesetzt.

Der Hand streicht die andere Hand …..  immer wieder
Jemand der sich in sich gefangen fühlt, zieht sich an und aus…immer wieder
Ein Pat. trommelt immer an den Tisch, bis die Wut nachlässt

 

Naomi Feil schreibt: Lebenslang eingesperrte Gefühle brechen in dieser Phase nun heraus

Sie beobachtet: Wut und Schuldgefühle treten nun am Ende des Lebens in heftige Bewegungen hervor.

·         Eine Frau wiegt sich hin und her,  an was wird sie erinnert?

·         Oder eine Frau kehrt zu ihren frühen Sprachformen zurück:  Ma mam ma

Phase 4     vegetieren

In dieser Phase verschließt sich der alte Mensch völlig vor der Außenwelt und gibt das Streben, sein Leben zu verarbeiten, auf.
Reagiert kaum noch auf äußerliche Reize, kaum Gefühlsregungen
Meist Augen geschlossen oder leerer Blick.
Er spricht nicht mehr, sitz nur im Sessel oder in liegt in embryonaler Lage im Bett.
Verweigert oft Trinken und Essen
Kein Erkennen von nahen Angehörigen,
Es gibt kein Mittel herauszufinden, ob er etwas verarbeitet.

 Was könnte eine Hilfe sein?

Wie können wir diesen Menschen ein Hilfe sein, die ca. 2 -6 Wochen bei uns sind.
Naomi Feil rät uns:  „Wir müssen mit dem Menschen seine Gefühle validieren“,

Validation:  2 - 4 Minuten kann diese Menschen in ihrer Erlebniswelt erreichen und kann verhindern dass der Mensch in seine Welt des Vegetierens

 

Validation heißt übersetzt «Gültigkeitserklärung».   Jemanden zu validieren bedeutet, seine Gefühle anzuerkennen, ihm zu sagen, dass seine Gefühle wahr sind. Man braucht sehr viel Einfühlungsvermögen, um in die innere Erlebniswelt der sehr alten desorientierten Menschen vorzudringen
 
“ in den Schuhen des anderen gehen“ „mit seinen Augen sehen“
«Gefühle die ignoriert werden, gewinnen an Intensität und können giftig werden!» «Gefühle verlieren ihre Intensität, wenn sie validiert werden
Validation heißt also, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, die auch der sehr alte Mensch äußert. Sich sicher und geliebt fühlen, gebraucht werden und produktiv sein, spontane Gefühle ausdrücken können und gehört werden. Damit dies möglich wird, braucht es von den professionellen Betreuern oder den Angehörigen die Kraft, sich in diese Welt der Verwirrungen einzufühlen, Vertrauen zu schaffen, Sicherheit und Stärke zu geben, das Selbstwertgefühl aufzubauen, dem alten Menschen den Lebensstress abzunehmen.
Die Validation ist eine Methode aus der Sozialarbeit, mit alten, an einer Demenz erkrankten Menschen zu kommunizieren. Die Validation geht davon aus, dass diese Menschen danach streben, die unerledigten Aufgaben ihres Lebens noch aufzuarbeiten. Die Anwender der Validation machen es sich zur Aufgabe, die Menschen dabei zu unterstützen.
Entwickelt wurde die Methode der Validation von Naomi Feil.
Natürlich hat diese Methode auch ihre Grenzen. Denn es wird die Sprache als Medium vorausgesetzt und beachtet weniger hirnorganische Veränderungen.
Wir können aber sehr oft und gut einsetzen.
Validation gilt nur für verwirrte und desorientierte Menschen und nicht für orientierte Menschen.

Eine große Herausforderung für die Pflege: Ich muss „ver-rückt“ denken wie der Andere.

Darf der Patient in Ruhe verrückt sein?

Verrückter Witz: Ein Polizist sagt zu dem alten Herrn: Können Sie mir bestätigen, das sie Herr Huber sind? Der verwirrte Herr kramt in seiner Tasche und holt einen Spiegel hervor, schaut in den Spiegel und sagt: Ja, Herr Wachtmeister ich kann es bestätigen, ich bin es!“

 In den Schuh des anderen gehen heißt: auf keinen Fall  den Wahrheitsgehalt beachten. Es kommt nur darauf an das Gefühl zu erkennen und für gültig zu erklären (ernst nehmen) und zu bestätigen.
Zurück zu dem Beispiel der 92 jährigen Frau. Sie will nachhause um für ihre Kinder kochen. Wie reagieren wir?  Es herrscht Zeitdruck…noch ein Patient läutet. Aber Naomi Feil sagt:  Es lohnt sich für 2 - 4 Minuten in den Schuhen des Anderen zu treten!! Für den Patienten und für mich!

Für 2-4 Minuten  mit diesen Menschen seine Gefühle validieren.

„Ja sie sind eine gute Mutter und ihre Kinder lieben sie und freuen sich auf das Essen. Was machen ihre Kinder jetzt? Was kochen sie denn für sie?“
So holen wir ihre Kinder wieder in ihre Erinnerung und helfen ihr damit
Die Wahrnehmung dieser Frau ernst nehmen, nicht über sie lächeln, belehren oder gering schätzen oder gar ignorieren.
In ihrem Unterbewusstsein spürt sie unsere Haltung, unsere  Wertschätzung für sie.

Immer ehrlich sein. Im Grunde weiß die Patientin tief in ihrem Unterbewusstsein, dass 
hre Kinder erwachsen sind.

Das Einzigwichtige: Ihre Gefühle bestätigen!!!!! Nicht den Wahrheitsgehalt…

Dann wird sich diese Frau  beruhigen.   
In ihrer Wahrnehmung ist sie in der Rolle der Mutter zurückgefallen. Sie hat sich in dieser Rolle bestätigt gefühlt und ein gutes Wohlbefinden  gehabt. Es ist vielleicht nur ein kurzer Moment. Am Abend wird sie vielleicht wieder nachhause drängen….. Wie wird der Kollege mit diesem  Bedürfnis der Patienten umgehen? Ich übertreibe jetzt: „Sie sind ja verrückt!“  würde das Selbstwertgefühl zumindest an diesem Abend zerstören….Es wird eine sehr unruhige Nacht auch für die Patientin und für Nachtschwester…..vielleicht müssen Medikamente verordnet werden um die aufgewühlte Frau zu beruhigen.       
Sie merken- ich übertreibe? oder doch nicht?  Kann man jedem Mitarbeiter Empathie verordnen?

Empathie ist das Handwerk für
Validation
     
                                                                    
Erinnern sie sich noch an die Frau, die uns beschuldigt sie nicht gewaschen zu haben:

Dahinter könnte ein verletztes und verdrängtes Gefühl stehen:                
Mein Tochter kümmert jahrelang nicht um mich!!!                       
Sie überträgt diese Vorwürfe auf die Schwester symbolhaft. Die Schwester wird symbolisch zur Tochter gleichgesetzt. Ob das der Schwester klar ist???

Was sie überhaupt nicht braucht: Jemand,der ihr widerspricht, sondern jemand der ihr zuhört ihre Gefühle bestätigt. Eine Warum-Frage  ist genauso sinnlos? Es kommt nicht auf den Wahrheitsgehalt an. Mit Wie- und Was-Fragen arbeiten.

Frau Naomi beschreibt wie sie mit diesem Menschen validiert :                                                    
Zuerst zentrieren ins Extreme:                                      
Was  ist das schlimmste, was die Schwestern mit ihnen tut?

„ Sie kümmert sich nicht um mich.“  
Dass tut ihnen sehr weh?
Ja, es ist schwer!!!!!  Jetzt kann diese Frau sich ihrem Schmerz stellen, oder die Trauer zulassen.                                                                                                                                                                                           Die Pat. fasst Vertrauen und Naomi Feil sagt: Ja das Leben ist so schwer (Zentriert). Die Patientin seufzt von ganzem Herzen: „Ja“ und beruhigt sich
Ihre Gefühle wurden bestätigt, sie muss nicht mehr kämpfen. Wichtig für uns: Wir Helfende werden oft als Symbole hergehalten  und reagieren zuerst mit Rechtfertigung.

Validation 10 Grundsätze

1.  Alle Menschen sind einzigartig und müssen als Persönlichkeiten behandelt werden.
2.  Alle Menschen sind wertvoll, ganz gleichgültig, in welchem Ausmaß sie verwirrt sind.    
3.  Es gibt einen Grund für das Verhalten von verwirrten, sehr alten Menschen.                
4.  Verhalten im sehr hohen Alter ist nicht nur eine Folge anatomischer Veränderungen deGehirns, sondern das Ergebnis einer Kombination von körperlichen, sozialen und psychischen Veränderungen, die im Laufe eines Lebens stattgefunden haben.                 
5.  Sehr alte Menschen kann man nicht dazu zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Verhalten kann nur dann verändert werden, wenn die betreffende Person es will.
6.  Sehr alte Menschen muss man akzeptieren, ohne sie zu beurteilen.                         
7.  Zu jedem Lebensabschnitt gehören bestimmte Aufgaben. Wenn man diese Aufgaben     nicht im jeweiligen Lebensabschnitt schafft, kann das zu psychischen Problemen führen.
8.  Wenn das Kurzzeitgedächtnis nachlässt, versuchen ältere Erwachsene, ihr Leben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, indem sie auf frühere Erinnerungen zurückgreifen. Wenn die Sehstärke nachlässt, sehen sie mit dem „inneren Auge“. Wenn ihr Gehör immer mehr nachlässt, hören sie Klänge aus der Vergangenheit.              
9.  Schmerzliche Gefühle, die ausgedrückt, anerkannt und von einer vertrauten Pflegeperson   validiert werden, werden schwächer. Schmerzliche Gefühle, die man ignoriert und   unterdrückt, werden stärker.                                                       
10. Einfühlung/Mitgefühl führt zu Vertrauen, verringert Angstzustände und stellt die Würde wieder her.                                                                                                                              Wir müssen Verwirrte als Erwachsen sehen und behandeln. Das gibt ihnen Würde. Wir müssen sie aber führen, anleiten und immer wieder, immer wieder, immer wieder  Orientierung anbieten!!! Wo ist das WC, wo der Trinkbecher, wo sind die frischen Anziehsachen, wo die Glocke, fester Tagsablauf, Bezugsschwester, Hektik und lange Sätze vermeiden, Gefühle wahrnehmen.

Alles tun, was beim Patient an Sicherheit und Vertrauen gewinnt.  

Vor 2 Wochen kam ich in ein Zimmer einer verwirrten Patientin, die aber noch in der Lage ist Toilettengänge selbstständig durchzuführen. In dem Zimmer roch es stark nach Urin…
Sie hatte an diesen Tag nicht gewusst, wo sich die Tür für das WC befand. In der Ecke war eine große Pfütze. Wie sich herausstellte Urin… auf mein Fragen hin wie der Urin dahin käme, gab sie mir die Antwort, dass ein Mann in das Zimmer kam und das machte.

Was hätte ich jetzt sagen sollen?
In ihrer Vorstellung, wäre es unerträglich dass sie in das Eck uriniert hätte. Es war ein Fremder! Sie war immer eine Frau die auf Sauberkeit, Hygiene und Ordentlichkeit großen Wert gelegt hat. So eine „Schweinerei“ würde sie nie machen. Sie betont: ein Mann war hier. So ihre Wahrnehmung.

Die Sätze sind uns bekannt, wenn ein Mensch mit Demenz eingenässt hat: Es hat von der Decke getropft und niemand richtet das Dach. (Vorwurf der andere ist schuld)
"Ich weiß nicht wo die Nässe herkommt…Ich habe geschwitzt."
Ich konfrontiere diese Menschen nicht mehr mit dieser Realität, (sie waren das!!!)weil ich weiß, dass ihr ganzes Gemüt an diesem Tag zerschlagen wäre. Ihre Scham wäre zu groß verletzt, ihre Gefühlsebene wäre vollkommen aus dem Gleichgewicht.  Es macht auch keinen Sinn.

Am besten geht man auf eingenässte Betten gar nicht ein, sondern lenkt den Pat. ab, indem man auf das schöne Wetter hinweist. Sie beruhigend berührt und  freundliche Worte wählt. Vielleicht singt man ein Lied. Das erspart den Patienten große Unannehmlichkeiten, Schamgefühle und sie werden nicht durch Anschuldigen völlig verstört.

Leitsatz:

Wir als kognitiv gesunde orientierte Menschen müssen umdenken! Gerade wenn wir mit verwirrten Menschen umgehen oder pflegen. Das ist so schwer!!!!!!!!

Wir müssen „ver-rückt“denken.
Wir müssen ein neues Denken bekommen…Dieser alte Mensch darf in Ruhe verrückt sein! Dieser Hochbetagte Mensch hat ein Recht darauf. Wir dürfen den alten verwirrten Menschen nicht mit unserer Realität verwirren!!!!!

Empathie ist gefragt---Mitgefühl ---Ich denke da an 25 Patienten, die versorgt werden müssen, Speisen müssen ausgeteilt werden und ein verwirrter Herr läutet immer wieder. Er muss aufs Klo. Sie können ihm erklären sie waren vor 45 Minuten auf der Toilette mit ihm, vor 30 Minuten vor 10 Minuten und alles ohne Erfolg. Bitte läuten sie nicht mehr. Sie können ihm drohen, belehren, mahnen….

Der Herr hat vielleicht vergessen, das er gerade war….aber die Angst er könnte in die Hose machen ist für ihn äußerst beunruhigend. Ein ohnmächtiges Gefühl plagt ihn. Einmal hat heute Vormittag in die Hose uriniert, das war für ihn schrecklich, er hat sich geschämt. Hat sich Vorwürfe von der Pflegekraft anhören müssen.

„Er läutet um uns zu ärgern!!!! Er führt sich unmöglich auf – sagen die Pflegenden, es lässt uns nicht arbeiten….“
ABER: Dieser Mensch ist nicht bösartig und unverschämt.
Er denkt nicht böse, sondern handelt aus Angst und aus Scham. Seine Gefühle validieren. Wenn er sich bestätigt fühlt wird er nicht mehr läuten müssen.
Wir müssen umdenken und versuchen in die Schuh des Anderen zu gehen.  

Befehle

Wo wir neu denken müssen ist ein anderer Gedanke. Vielen Kollegen stört es ungemein, wenn Pat. nur noch Kommandos geben oder befehlen. Sie fühlen sich verletzt, ausgenutzt und nicht anerkannt.

„Trinken“  „Klo“  „Festhalten“  „Bett“ oder sie zeigen mit dem Finger auf ein bestimmtes Ziel. Eine Kollegin wollte diese arme  Patientin erziehen, wie sie sagt….
„Danke sagt man“  „Bitte sagt man“…
Die Patientin hat dennoch nie „Danke“ oder „Bitte“ gesagt. Sie hat auch nie „Guten Morgen“ gesagt, weil sie das kognitiv nicht mehr umsetzen konnte. Ihr Sprachverständnis war immer mehr eingeschränkt.

Doch was für ein Missverständnis:
Sie ist nicht unhöflich, sondern verwirrt!!!
Fr. Naomi Feil erklärt, dass viele Verwirrte nur noch in der Lage sind mit kurzen Kommandos Ihre Bedürfnisse zu äußern und so ihr „Überleben“ sichern.

Das war mir nicht so klar!
Wir müssen in die Schuh des Anderen gehen. Wollen wir das? Können wir uns
Hineindenken in Desorientierte.. für kurze Momente.

 Umgang mit Symbolen

Ich möchte ihnen noch etwas Wichtiges mitteilen.
Frau Feil hat mir die Augen in ihren Büchern dafür geöffnet.

Jeder zeitlich Desorientierte hat seine Symbole, die wir entschlüsseln können.
Ein dementer Patient war absolut rollstuhlabhängig. Das Laufen war nicht mehr möglich. Er sagte uns immer wieder, wo sein Stock sei. Ich erklärte natürlich freundlicherweise, dass er keinen Stock benötige, da er nicht laufen könne. Der Pat. war mit dieser Antwort überhaupt nicht zufrieden, unruhig und unwillig. ER fragte immer wieder. Ein aufgewühlter Pat, der sobald er in den Rollstuhl mobilisiert wurde auf die Suche ging. Verzweifelt  suchte immer wieder in seinem Schrank und in anderen Patientenzimmer seinen Stock.  Ich begriff sein Verhalten nicht…Er nervt  Er ist verrückt!
Jetzt wo ich Naomi Feil gelesen habe merke ich, wie falsch ich gedacht und gehandelt habe. Ich habe den Patienten in seinen Gefühlen nicht bestätigt oder gar ernst genommen.

Der Stock und der Schlüssel sind Symbole männlicher Sexualität beschreibt Fr. Feil.  Der Stock wird ersetzt als Sinnbild seiner verlorenen Sexualität.Er hat sie verloren und den Verlust nicht verarbeitet und hält sich symbolisch an dem Stock fest. Das ist seine männliche Identität. Sein Selbstwertgefühl.Hätte ich ihm doch nur einen Gehstock oder Gehstütze gebracht, das Wohlbefinden des Patienten wäre verbessert geworden und sein Gefühl bestätigt

Ich muss neu denken:

Symbole beachten: ein letztes Beispiel

Die Handtasche einer verwirrten Frau. In der sie alles stopft. Servietten zu falten und Lebensmittel zu horden, sind noch die einzige Möglichkeit Identität zu haben und zu wahren. Alles wird in die Tasche gesteckt, dazu unzählige Notizen. Diese Tasche wird umklammert, festgehalten. Sie wird  immer mitgenommen bei jeder Untersuchung. Sie darf nicht verloren gehen… Für uns ist es eine alte, schmutzige Handtasche….aber in der Gefühlswelt dieser verwirrten Person bedeutet es:“ Das bin ich!! Das ist meine Sicherheit!“
Schmuck – verlorene nicht verarbeitete Schönheit
Kuscheltier – Erinnerung an Kindheit (Wohlbefinden )
Kreuz , Bilder u.s.w.

Es geht bei Validation auch die Symbole zu verstehen, die hinter den Bedürfnissen stehen.
Es ist schwer:
Fr. Naomi beschreibt wie Verwirrte sich fühlen, wenn sie in ein Krankenhaus kommen:
Es ist als würden wir ungewollt  in einer uns völlig fremden riesigen Stadt ohne Stadtplan aufhalten. Irgendwo ist ein sicherer Ort. Die Adresse haben wir vergessen. Es ist keine vertraute Person da, niemand der uns helfen könnte. Wir haben uns verlaufen und sind ohne Orientierung, die Beschilderungen können wir nicht lesen, weil wir die Brille verloren haben. Es wird Nacht und plötzlich bricht ein gewaltiger Sturm los.
Wir wissen nicht wo wir sind!!!       
Wie fühlen sie sich?

Langsam bricht in uns Panik aus…
Dieser Gefühlssturm bricht aus bei einem verwirrten Patienten der sich plötzlich in unseren Kliniken wieder findet. Die vielleicht noch einzige vertraute Stimme der Ehefrau ist nicht mehr da, nur noch fremde Gesichter, fremde Stimmen, fremde Umgebung, ein fremdes Bett, ein fremder Mann in meinen Zimmer (Mitpatient) Wo bin ich? Wo ist meine Frau? Ein Gemisch von Panik, Einsamkeit, Angst und Ohnmacht befällt diese Menschen unkontrolliert. Können wir emp,finden was sie fühlen?

Die einzige Chance ist so schnell wie möglich Vertrauen aufzubauen und die Gefühlsebene ausgleichen

Auszugleichen, indem wir seine Gefühle bestätigen: Eine beruhigende Atmosphäre schaffen. Vielleicht brauchen wir dazu 2 Tage. Eine sehr schwierige Aufgabe für die Pflegenden, die oft mit Zeitdruck belastend sind. Hierzu ist Empathie wichtig- sie sehen die Fähigkeit  mitzufühlen –Gefühle zu validieren „wird im Umgang mit Verwirrten immer bedeutsamer?

In den Schuh des anderen gehen..

Am Schluss möchte ich Ihnen noch ein Gedicht von einer schottischen namenlosen Patientin vorlesen, die irrtümlich jahrelang als dement eingestuft wurde. Sie hat uns ein Gedicht hinterlassen das uns nachdenklich machen kann.

 

 

 

•          Büchertipps

Naomi Feil   Validation in Anwendung und Beispiel   reinhardt verlag

Naomi Feil  Validation   Ein Weg …..                          reinhardt verlag     

Verwirrt nicht die Verwirrten    Erwin Boehm            Psychiatrie Verlag

100 Tipps fürr Validation       Barbara Messer       Brigitte Kunz Verlag       

 
Vielen Dank fürs Zuhören

 

 

 





Herbert Niedermirtl, Geriatrische Rehabilitationsklinik der Hessingstiftung Augsburg


Vortrag im Zentralklinikum Augsburg  2011

Wandel: 
Von der Befürchtung (Besorgnis) zur echten Fürsorge

 

 

                                   „Sorge dich um mich“


Zurzeit leben schätzungsweise 900000 bis 1,2 Millionen Demenzerkrankte im mittelschweren bis schweren Stadium in Deutschland. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung, dürfte sich die Zahl sich deutlich erhöhen
 
Alltag: Wir lesen die Hauptdiagnose:
Z.n. Rippenserienfraktur nach Sturz
Nichts Aufregendes, nichts beunruhigendes,
aber die Nebendiagnose lässt mich erst einmal erschrecken:
dementielles Syndrom,
Verwirrungszustände
Meine Befürchtung: Dieser desorientierte alte Mensch wird mich und unsere
Arbeit auf Station völlig überfordern!
- Tatsächlich wird das so sein, wenn wir zuwenig wissen, wie ich mit dieser
schwerkranken Patientengruppe umgehen können.
Ich versichere Ihnen: Diese Nebendiagnose Demenz wird Alltag in unseren
Krankenhäuser und wir sollten bestens darauf vorbereitet sein.
Denn die Patienten sind bereits da!!!!! Und sie wird in naher Zukunft die Hauptgruppe der
Patienten stellen. Ist uns dieser Wandel bewusst?

Diese Patientengruppe ist eine Herausforderung in dem Pflegealltag
Gerade in unseren funktionellen Krankenhäusern mit schnellen und geregelten
Abläufen wird es mit einem verwirrten Patienten so ziemlich alles kompliziert.
Dieser Patient kann eine große Störung und Gefährdung des Stationsablaufes
werden. „Man weiß ja nie was passiert, wenn ich die Tür aufmache?
Ich habe Angst, dass dieser Patient mich alle Nerven kosten wird. „ Ich habe Angst
vor dementen Patienten!“
„ Ich könnte nicht mit verwirrten Patienten arbeiten", sagen Kollegen aus anderen
Krankenhäusern zu mir.
Die Angst vor Mehrarbeit und Überlastung ist spürbar!
Doch wir können was tun: wir sind nicht hilflos!
 
1. Sorge Dich: Nicht mehr, sondern schlauer arbeiten
In den Zeiten der Umstrukturierung, können wir nicht noch mehr arbeiten,
sondern wir müssen schlauer arbeiten. Ganz im Sinne eines Lean Hospital
Management
Das ist doch schon Alltag in den Krankenhäusern und der Patient stört
unseren Stationsablauf immens:
* Die 90 jähriger Patientin verweigert jede Essenszunahme, sie ruft immer wieder Mama, sie wirkt verstört und verängstigt
*Eine 86 Patientin sitzt in dem Rollstuhl und ist völlig in ihre Welt zurückgezogen. Es gibt keine Möglichkeit mit ihr zu kommunizieren.
* Eine verwirrte 85 jährige Frau steht mit entblößtem Unterkörper mitten im Zimmer und hat soeben auf den Boden gestuhlt.
* Ein 76 jähriger Mann der unglücklich desorientiert ist, fragt zum 16x und „wie geht’s weiter?" Er hat keine Orientierung mehr und große Schwierigkeiten im Handlungsablauf.
*Ein anderer Patient hat in seiner motorischen Unruhe seinen Dauerkatheter gezogen. usw.
* Ein 88 jährige verwirrte Frau will unbedingt aufstehen. Insgesamt ist sie schon 5 x gestützt
Die „Störungen“ können so vielseitig sein, ich könnte Ihnen viele Beispiele
erzählen:
Wie können wir von dieser Besorgnis zu und echter Für“sorge“ kommen. Wie komme ich als Pflegekraft zu dem Gedanken: „ Wie kann ich auch diesem verwirrten Menschen Sorge tragen? Wie kann ich mich um ihn sorgen? Dahinter steckt ja das Wort „Versorgen“
Wie kann ich richtig diese Patientengruppe mit diesem auffälligen und
herausfordernden Verhalten versorgen? Wie verliere ich die Befürchtung?
Angst vor diesem Patientengut.
 
2. Sorge Dich: Wird der verwirrte Patient sich auf uns
einstellen?
Unmöglich!!!!!!! Das kann der gesunde kognitive bewegliche Patient, sondern wir müssen uns auf den Patienten einstellen… Dieser Wandel müssen wir akzeptieren, dass sind wir dieser Patientengruppe schuldig.
Wir müssen dafür sorgen, dass solche Patienten nicht ignoriert,
stigmatisiert, eingeschüchtert, abgelehnt werden, weil wir
ihnen gegenüber hilflos sind!!!!
In einem humanen Krankenhaus hat dieser Patient seinen Platz. Er hat seinenWert .Er ist eine wertvolle Persönlichkeit, auch wenn er sich in einem Labyrinth des Vergessens befindet. Er ist willkommen!
Auch ich selbst stand dieser Patientengruppe zuerst hilflos gegenüber,
Diese „verrückte“ und herausfordere Verhalten dieser alten, verwirrten Patienten verunsicherte mich zutiefst. Ich stand in der Gefahr zu resignieren!
Aber das es Entscheidende war und ich glaube es ist der Anfang des Sinneswandel:
 - Ich wollte mich dieser neuen Realität stellen, auch wenn sie verrückt war!!
Wir als Pflegende müssen uns konstruktiv mit diesen Grenzen auseinandersetzen
und diese Realität anerkennen.
 
3. Sorge Dich: „Bin ich bereit „verrückt“ zu denken? „
Um die Ecke denken?
Darf der Patient in Ruhe verrückt sein?
Witz: „Sie haben mir ein falsches Alter angegeben!“ sagt der Richter scharf zu der hoch betagten Zeugin. „ Nein, Herr Richter nur eins von früher!“
Geben wir dem Patient das Recht „verrückt“ zu sein, so wird es auch uns
entspannen!
Ich kann diesen Menschen nicht mit meiner Realität konfrontieren und damit noch mehr verwirren. Und schon gar nicht umerziehen oder in ein Stationsschema pressen. Unmöglich!! Der Pat wird sich uns nicht anpassen und mit unserer Realität konfrontiert sich innerlich zurückziehen oder Aggressionen zeigen.
Mit Anerkennung  dieser Realität wird gleichzeitig Resignation
vermieden, weil sie uns in der konkreten Pflegeprozessplanung vor nicht
erreichbaren Zielen und Maßnahmen bewahrt.
- Es gibt kein gesund pflegen, sondern ein fürsorgliches begleiten.
Wenn wir diesen Wandel akzeptieren, wird es uns weniger emotionelle Kraft und Nerven kosten.
 
4. Sorge Dich: Weiß jeder Mitarbeiter über Demenz Bescheid
und besitzt Handlungswissen?
Leider Nein!!!!!
Ist es uns klar, dass unsere Reaktion und Handlung entscheidet, wie es den
Patienten emotionell gehen wird?
Wenn wir wissen und verstehen, was das Krankheitsbild Demenz bedeutet, welche Phasen der Desorientiertheit es gibt, können wir vielleicht Handlungsweisen der Erkrankten interpretieren.
Wir brauchen Schulungsmaßnahmen und Fortbildungen um dieser Patientengruppe professionell zu begegnen und für sie zu sorgen!!
Es ist deshalb einfach erforderlich, dass ein hoher Anteil der Pflegenden einer Einrichtung das nötige gerontopsychiatrische Handlungswissen angeeignet bekommt, um die Betreuung von dementen Patienten umzusetzen und ihre Kenntnisse an die Mitarbeiter weiter zu geben.
• Ein Beispiel: Rückkehr in Erinnerung (das einzige Paradies wo wir
nicht vertrieben werden können.)
Die 92 jährige Frau sagt bestimmt: Ich muss nachhause und meinen Kindern
Essen machen!!!
Immer wieder sagt es diese Frau und wird dabei immer ärgerlicher,
verzweifelnder und unruhiger!!!
Was würden sie zu dieser Frau sagen?
  •  Ihre Kinder sind doch schon über 60 Jahre und leben doch für sich selbst?
  • Sie sind jetzt im Krankenhaus und können jetzt nicht nachhause gehen
  • Sie sind doch verrückt?
  • Sie ignorieren diese Aussage
  • ?????
5. Sorge Dich: „Bin ich bereit Empathie zu zeigen und zu entwickeln?“
Das ist das Handwerkzeug um dementen Patienten zu begegnen.
Naomi Feil und ihr hervorragendes Standardwerk „Validationein
Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen - es
könnte ein Weg sein um zu verstehen:
• was in dem verwirrten Menschen passiert,
• Bedürfnisse wahrzunehmen
• und seine Handlungsweisen zu interpretieren.
“ in den Schuhen des anderen gehen“ „mit seinen Augen sehen“
Validation heißt also, grundlegende menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, die auch der sehr alte Mensch äußert. Sich sicher und geliebt fühlen, gebraucht werden und produktiv sein, spontane Gefühle ausdrücken können und gehört werden.
Unser Ziel ist es, dem alten Menschen den Lebensstress abzunehmen.
Was könnte ich mit der 92 jährigen Frau tun, die ihre Kinder bekochen will?
Für 2-4 Minuten mit diesen Menschen seine Gefühle validieren.
„Ja sie sind eine gute Mutter und ihre Kinder lieben sie und freuen sich auf das Essen.
Was machen ihre Kinder jetzt? Was kochen sie denn für sie?“
So holen wir ihre Kinder wieder in ihre Erinnerung und helfen ihr damit.
Das Einzigwichtige: Ihre Gefühle bestätigen!!!!! Nicht den Wahrheitsgehalt…
Die Frau wird sich beruhigen, ihr seelisches Gleichgewicht ist wieder
ausgeglichen
Wenn wir uns 2 Minuten, oder 3 Minuten Zeit nehmen, wird es der Patientin
besser gehen und auch uns!! Ihr Impuls zu kämpfen lässt nach. Ist das uns
bewusst?
Empathie ist das wichtigste Werkzeug in Umgang mit Demenzerkrankten.

6. Sorge dich: „Muss sich unser Aufnahmeprocedere ändern?“
Der erste Kontakt schafft Vertrauen und emotionelle Sicherheit.
Eine freundliche Atmosphäre und Empathie vermittelt gleich Sicherheit und
Vertrauen
Ist da überhaupt in einer Notaufnahme möglich?
Bei Patienten mit der Diagnose Demenz müssen wir uns bei einem
Aufnahmegespräch Zeit nehmen. Ist eine Kommunikation gestört, sollten unbedingt die Angehörigen mit einbezogen werden und befragt werden. Wir brauchen ein realistisches Bild der vorhandenen Ressourcen und Defizite.
Um eine Verständigungsbasis aufzubauen brauchen wir dann Zeit, Zeit, Empathie, Empathie, Empathie und personelle Beständigkeit. (Bereichspflege wird hier bedeutsam)
Wenn wir gut beobachten wird uns schon einiges klar:
Eine Patientin hatte unzählige kleine weiße Zettel in ihrer sehr abgenützten
schmutzigen Handtasche. Als ich sie nach ihrem Hausarzt befragte war das schon interessante Erfahrung. Die Patientin suchte nach einem Zettel und las mir einen Straßennamen vor.
„Da wohnt der Hausarzt und hat eine schwäbischen Namen!“
Ich akzeptierte sofort diese (ihre) Realität und fragte nicht weiter. Später hab ich herausgefunden, dass der Hausarzt Buschmann heißt. Ich habe sie auf keinen Fall bloßgestellt und die Patientin hat sofort Vertrauen zu mir gefasst. Sie hatte ihre emotionale Sicherheit behalten und ich glaube sie war mir sehr dankbar darüber.
 
Selbstverständlich darf der Patient persönliche Gegenstände mitbringen, auch wenn sie vielleicht kindisch und nicht gerade hygienisch sind.
- Eine Pat. hat ein Stoffschwein in ihrem Bett, das sie nie aus der Hand nimmt. 
- Bilder von verstorbenen Ehemänner usw.       
 Bitte ja
Und selbstverständlich darf diese voll gestopfte Handtasche auch mit in die
Röntgenabteilung oder  in die EKG-Abteilung mitgenommen werde, denn das ist ihre letzte Stück,
das ihr Sicherheit vermittelt. Die Handtasche, das bin ich!!
Wehe ich bin nicht bereit diese „verrückte“ Realität anzuerkennen und sage „Die
Handtasche bleibt hier!“
 
7. Sorge Dich: „Gibt es auf ihrer Station und in ihrem
Krankenhaus Leitlinien im Umgang mit Demenzkranken?“.
Das hilft ungemein!!
Dazu gibt eine hervorragende Leitlinie in dem Handbuch Demenz .
Es gibt hervorragende Erläuterungen zur Beziehungsgestaltung
und Pflege für Menschen mit Demenz.
Von Ulrich Kastner/Rita Löbach
Dieses Standardwerk ist für jede Krankenschwester und Pfleger
ein Muss.
 
8. Sorge Dich: „Muss ein Demenz-Management installiert werden?
Darin soll es gehen, dass für eine Person mit chronischer Verwirrtheit eine
angepasste Umgebung geschaffen wird. Ideen sind gefragt! Arbeitsgruppe bilden?
Vielleicht zwei Ideen, die in der Praxis ja schon umgesetzt werden:
1. Ein geriatrischer Pfleger begleitet die ganze prä- und postoperative Phase als
fester Bezugspfleger für einen verwirrten Patienten. Das vertraute Gesicht des Pflegers ist schon in der Aufwachphase wieder zu sehen und vermittelt dem Patienten in dieser fremden Welt dadurch Sicherheit. Die Station wird dadurch entlastet.
2. Das Diakonie-Klinikum Hamburg hat das Projekt Siloah ins Leben gerufen. Anfang 2007 wurde eine Station eröffnet, die Demenzerkrankte eine fürsorgliche und umfassende Versorgung bietet. Ein interner Konsildienst unterstützt die schnelle
Übernahmen von unruhigen und verwirrten Patienten aus den anderen
Fachbereichen.
Dort wird das Prinzip der Entschleunigung gelebt. Auch der Personenschlüssel mit 16 Vollkräften ist sehr gut. Logopäden, Ergotherapeuten und Krankengymnasten,
Sozialarbeiter mit einer tagsüber anwesenden Ärztin runden das Bild ab.
In dem Fachblatt Die Schwester / Der Pfleger Jahrgang 3.09 wird ausführlich
über dieses Modell geschrieben.

9. Sorge Dich: „Sorgen wir uns auch um die Pflegenden?“
Letzter Gedanke und Abschluss: Der Gerontopsychiater Erich Grond sprach einmal von dem Pflegenden „als beste Medizin“!
Diese Medizin gilt es zu schützen und zu unterstützen, damit sie weiterhin wirken kann.
 
Letztlich ist eine professionelle, gute Versorgung von Menschen mit Demenz nur von „gepflegten“ Pflegenden leistbar. Und letztlich kann eine
Organisation diese gute Pflege nur anbieten, wenn sie sich um dieses
unbestreitbar „wichtigste Kapital“ kümmert. Insofern sind Angebote zur
Unterstützung der Pflegekräfte sehr notwendig. (Supervision, Hilfe bei
Entwicklung von individuellen Lösungen, Reflexion des eigenen Handelns,
Wertschätzung und motivationsfördernde Maßnahmen durch
Führungspersonal.
 
Abschluss:
Ich habe heute früh ein Lied von den Silbermond gehört: Das könnte fast das Lied der Demenzerkrankten und der Desorientierten sein. Die Band singt:
„Gib mir ein bisschen Sicherheit, gibt mir was, was bleibt!
Das ist ihre große Sorge: Was bleibt? Was gibt mir Sicherheit?
Geben wir ihnen unsere Zeit, unsere Wertschätzung, unsere Empathie, unsere Pflege, dann fühlen sie sicher. Das bleibt!!!
Noch einmal Bücher die empfehlenswert sind und auf jeder Station Pflicht
sein sollten:
Vielen Dank fürs Zuhören – machen sie für heute sich keine Sorgen.